Rente Undercover – Wie Banken und Verwalter unsere Altersvorsorge ruinieren.
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Ich hätte dieses Buch mit dem vielversprechenden Titel „Undercover in der Finanzindustrie“ fast zur Seite gelegt. Es hat mich geärgert.
Es ist ein Sachbuch im Dunstkreis von Banken und Finanzen, wie viele: zu dick aufgetragen, zu sehr auf Dramatik getrimmt, falsch getexteter Titel, Wiederholungen.
Und doch. Ich schreibe darüber. Weil Sie Wichtiges im Buch erfahren.
Das Buch liefert einen informativen und klaren Blick hinter die Fassade von Versicherungsvertrieben, von „Allfinanz“ Strukturvertrieben wie MLP, AWD, OVB, DVAG, ERGO, provisionsgetriebenen „Anlageberatern“. Und von Banken. Wie sie mit ihren Kund’innen umgehen, die versuchen, eine Altersvorsorge aufzubauen.
Es ist wichtig, das Geschäftsmodell dieser „Altersvorsorge“-Industrie zu kennen. Weil es eben NICHT darin besteht, Menschen dabei zu unterstützten, in eine passende und gute Altersvorsorge zu sparen.
Stattdessen nehmen sie ihre Kund’innen aus, führen sie hinters Licht, lügen sie an, verkaufen ihnen mangelhafte, teure, überflüssige Produkte, um die eigenen Einnahmen zu steigern. Nicht, um gute Dienstleister zu sein.
Allein der deutsche Akademiker-Finanzvertrieb MLP setzte 2017 mehr als 600 Millionen Euro um. Das heiß: Millionen von Menschen vertrauen MLP eines ihrer wichtigsten Alltagsdinge an: ihr Geld. Und lassen sich abzocken.
Das perfide Geschäftsmodell der Strukturvertriebe funktioniert also nach wie vor mit Kombi-Produkten, Riester- und Rürup-Renten, Fondsgebundenen Lebensversicherungen, Garantieangeboten und und und.
Und deshalb stelle ich Ihnen dieses Buch vor. Weil Sie das wissen sollen, damit Ihre Altersvorsorge in Ihrem Sinne gut ist.
Und Sie kein leicht erreichbares Opfer werden, kein LeO. Sondern die richtigen Fragen stellen bzw. an der richtigen Stelle „nein“ sagen. Über die Schwächen lässt sich hinweglesen, einfach weiter blättern 🙂
Autor Malte Krüger fragt sich, wie er am besten nachhaltig ein Vermögen aufbauen kann. Für die Rente. Mit welchem Produkt. Und: Wer ihm dabei helfen kann. Das ist der Ausgangspunkt für seine Undercover Recherche.
Bezeichnenderweise fragt der Autor nicht: Was muss ich wissen, um meine Rente selbst zu sichern? Er fragt nach Produkten. Allein daran offenbart sich das ganze Missverständnis um die Altersvorsorge hierzulande. Aber das nur am Rande.
Krüger heuert also als Kommunikationsexperte unter falschem Namen bei der – Zitat aus dem Buch – „Nummer eins der Finanzdienstleister“ an. Er wird geschult, nistet sich in der Hierarchie ein und fängt an, Anlageprodukte zu verkaufen.
Dabei erfährt er, dass Fachwissen nur hinderlich ist, um Kunden eine kombinierte Rürup-Rente mit Berufsunfähigkeitsversicherung anzudrehen. Um Beratung gehe es nicht, sondern rein um Verkauf zitiert Krüger einen langjährigen Mitarbeiter, der inzwischen gegen seinen Arbeitgeber prozessiert und Krüger Erfahrungen anvertraut.
Zum Beispiel auch, dass es „kein reelles Produkt“ gibt, das die „Rentenlücke so schließen könnte, wie es einst die gesetzliche Rentenversicherung gemacht hat“.
Oder: die Umdeckmasche. Um ihre Gewinnmarge zu halten, brauchen Strukturvertriebe „pro Jahr etwa 400.000 Neuverträge„, erzählt der Insider. Diese Zahl erreichen die Vertriebe, in dem sie ihre Bestandskunden mit falschen Argumenten überreden, alte Verträge beitragsfrei zu stellen und neue Verträge abzuschließen.
Warum? Nur an neuen Verträgen verdient die Branche ihre Provisionen. Die werden von den Beiträgen der Kund’innen abgezogen. Dadurch entstehen persönliche Schäden in Höhe von Tausenden von Euro. Die fehlen dann beim Vermögensaufbau bzw. führen oft zu einer Negativ-Rendite.
Aber nicht nur die Altersvorsorge ihrer Kund’innen ruiniert die Branche; sie zerstört ihre eigenen Mitarbeiter finanziell. Auch das erzählt der Insider. Eine spannende Facette.
Krüger findet am Ende kein Argument, was für den Provisionsvertrieb spricht. Das gibt es ja auch nicht – jedenfalls nicht im Sinne der Kund’innen.
Krüger hat auf seiner Suche nach einer guten Altersvorsorge auch Beratungsgespräche in einigen Banken geführt wie der Deutschen Bank, der Santander, der Commerzbank. Er hat einen Termin bei einer Sparkasse gemacht und sich als Millionenerbe in einer Privatbank ausgegeben. Er war „undercover“ unterwegs, wie er schreibt.
Statt einem passenden Vermögensplan und -aufbau musste er sich aber in geschwollenen Worte Herrschaftswissen anhören, seine Einwände wurden nicht ernst genommen, seine Fragen nicht beantwortet. Die Anlageprodukte, die die Banker empfohlen, waren schlecht, passten nicht, waren unnötig und teuer.
Frust breitete sich bei Krüger aus. Völlig zu Recht.
Beim Lesen fragt man sich immer wieder, wie das eigentlich sein kann, dass ein Großteil einer ganzen Branche so eindeutig auf Kosten der Allgemeinheit ihr Unwesen treibt.
Am Ende seiner Recherche trifft Krüger auf den Honorarberater Alexander Schmidt. Mit ihm unterhält er sich und erfährt, wie er selbst seine Altersvorsorge in die Hand nehmen kann. Und wie eine faire Anlage-Beratung aussehen könnte. Daraufhin wird Schmidt gleich zum Co-Autor für das Buch.
Das Buch schließt mit einer Systemkritik. Die Autoren fordern einen gesamtgesellschaftlichen Diskus über Altersvorsorge, Altersarmut und die unheilige Allianz zwischen Finanzindustrie, Unternehmen und Politik. Das drängt sich auf. Ist aber auch nicht originell.
Buchtitel und Cover versprechen anderes, als der Inhalt liefert. Der Kommunikationsexperte Malte Krüger ist nicht „Undercover in der Finanzindustrie“ unterwegs gewesen. Dann hätte er bei der Deutschen Bank, Goldman Sachs oder UBS anheuern müssen – im Investmentbanking, der Personalabteilung oder im Vorstandsstab. Dann hätte er vielleicht auch den „unzensierten Einblick in die Untiefen der Finanzindustrie“ erzählen können. Kann er nicht. Macht er auch nicht. Haben andere gemacht.
Dem Covertext insgesamt hätte mehr Ehrlichkeit gutgetan. Der Verlag wirbt damit, dass Krüger undercover als „verdeckter Ermittler“ in das „Innere der Finanzindustrie“ „eintaucht“. Das tut er nicht.
Er führt Beratungsgespräche unter falscher Identität. Er ermittelt nicht. Ermittler haben besondere, durchgreifende, staatliche Befugnisse, die ich z.B. als auch investigativ arbeitende Journalistin ebenso gern hätte! Habe ich aber nicht. Argh! Journalisten und Autoren recherchieren. That’s it! Das ist manchmal aufregend. Aber selten spektakulär, weil enorm kleinteilig und arbeitsintensiv.
Auch „enthüllen“ die Autoren nicht, warum die Strukturvertriebe Falschberatung betreiben. Das haben andere Autoren und Insider längst vor ihnen getan. Das ist alles viel zu dick aufgetragen und sehr ähnlich dem, was das Buch ja kritisiert.
Neu ist das alles also nicht, was die Autoren über das Geschäftsmodell der Strukturvertriebe, der Banken, Vermögensverwalter und Versicherungen schreiben. Die Machenschaften sind bekannt. Oder sollten es jedenfalls sein.
Es gibt unzählige Bücher, die Einblicke geben. Journalisten schreiben darüber, Wissenschaftler und Verbraucherschützer warnen.
Und doch: Die Masse vertraut weiterhin den „Finanzberatern“, die ja Finanzprodukt-Verkäufer sind, nach wie vor. Was diese ausnutzen und viele Millionen Menschen um einen Teil ihres Geldes und ihrer Altersvorsorge bringen.
Deshalb ist der Inhalt dieses Buches wichtig. Malte Krüger ist ja auch einer, der bis vor kurzem nicht viel über die Vorgehensweise der Branche wusste, obwohl es schon viel Lesestoff und einige TV-Dokumentationen darüber gibt.
Bevor Sie also einen Termin bei MLP, ihrem Versicherungsvertreter, AWD oder jedem anderen „Allfinanzvertrieb“ machen, oder Ihr „Berater“ mal wieder mit einem Neuabschluss um die Ecke kommt, lesen Sie sich vorher (!) schlau. Zum Beispiel mit diesem Buch.
Undercover in der Finanzindustrie. Wie Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter ihre Rente ruinieren und was Sie dagegen tun können
Finanzbuchverlag, 2018
20 €
Finanzrocker Daniel Korth hat mit Malte Krüger ein Interview zum Buch geführt. Es ist ein kontroverser Podcast geworden.
+ Stefan Loipfinger: Achtung, Anlegerallen! Wie Sie teure Fehler vermeiden und Chancen nutzen, 2018
+ Holger Balodis, Dagmar Hühne: Garantiert beschissen! Der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen, 2015
+ Till Freiberg: Die Abzocker. Ein Finanzberater packt aus, 2003
Das Buch hat mir der Finanzbuchverlag zur Verfügung gestellt. In meinen Buchtipps bespreche ich dennoch nur Bücher, deren Inhalt ich für relevant und nützlich halte. Und nicht, weil sei mir geschenkt wurden.
Vielen Dank für diesen Buchtipp und die erläuternden Ausführungen. Meiner Meinung nach zeigt das Buch ein großes Dilemma: Grundsätzlich ist es ja erstmal positiv, wenn die Notwendigkeit zur Altersvorsorge überhaupt erkannt wird. Viele Leute sind sich meiner Wahrnehmung nach dieser gar nicht bewusst oder ignorieren sie nach dem Motto: „Die Rente ist ja noch ganz weit weg“.
Wenn ein Kunde dann aber die falschen Produkte verkauft bekommt und merkt, dass er abgezockt wird und auf das komplett falsche Pferd gesetzt hat, wendet er sich möglicherweise desillusioniert wieder völlig von diesem wichtigen Thema ab.
Insofern ist das Buch ja auch ein deutlicher Appell für mehr Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge und für den Aufbau des nötigen Finanzwissens.
Honorarberatung finde ich als Ansatz grundsätzlich erstmal interessant für diejenigen, die sich eigenständige Entscheidungen (mangels relevantem Fachwissen) nicht zutrauen. Allerdings verläuft die Entwicklung dieser Dienstleistung meiner Wahrnehmung nach eher schleppend (Stichwort „Kostenlos-Mentalität“). Und einen guten / den „richtigen“ Honorarberater zu finden, ist vermutlich (ohne Empfehlung aus vertrauenswürdigem Munde) gar nicht so einfach.
Mein Fazit (auch schon vor Erscheinen dieses Buches): Das nötige Finanzwissen sollte man sich selbst aneignen und sich persönlich um Vermögensaufbau und Altersvorsorge kümmern.
Liebe Andreas,
dem kann ich nur zustimmen. Selbst informieren und dann loslegen.
Und in der Tat haben es Honorarberater schwer. Ein bisschen auch selbst verschuldet. Wo sind sie, die Honorarberater in der öffentlichen Debatte um Finanzthemen? Zum Vertrauensaufbau, als Orientierung, als Gegenpunkt zu den lautstarken Banken und Versicherungsvertrieben.
Zu vielen Menschen ist ja gar nicht klar, wodurch sich Anlageberater, die „nichts kosten“ von Honorarberatern unterscheiden, die transparent zu bezahlen sind.
Da ist noch einiges zu tun.
Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich neugieriger auf die ganzen Bücher/Texte, die du erwähnt hast („Das haben andere Autoren und Insider längst vor ihnen getan.“, „Kann er nicht. Macht er auch nicht. Haben andere gemacht.“). Hast du zufällig eine Artikel über genau diese Schriften?
Hi Tanja, 🙂
zu Recht bist du neugierig. Einen Artikel über diese „Schriften“ habe ich nicht. Es sind wirklich viele Bücher, Artikel, einige TV-Dokus (die leider oft nicht mehr zu sehen sind aus rechtlichen Gründen).
Hier nur einige wenige gute auf die Schnelle.
– Michael Lewis: The Big Short: Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte (Buch + Film)
– Felix Riley: The Inside Job (Buch)
– Stephan Lamby: Der Große Rausch – ein Investmentbanker packt aus (Dokumentation)
– Renè Zeyer: Bank, Banker, Bankrott: Storys aus der Welt der Abzocker (Buch, unterhaltsam, bissig)
– Wolfgang Hetzer: Finanzmafia. Wie Banker und Banditen unsere Demokratie gefährden (Buch)
– Gillian Tett: Fool’s Gold (Buch)
– Wolfgang Dahm: Beraten und Verkauft. Die Methoden der Strukturvertriebe (Buch, 1996)
to be continued …
Als Buchempfehlungen kann ich noch ergänzen:
„A colossal failure of common sense“ von Larry McDonald (gibt’s sicher auch auf deutsch) – Hier beschreibt ein Lehman-Mitarbeiter aus interner Sicht die Lehman-Pleite und den Subprime-Markt. Sinnigerweise arbeitete Larry McDonald im Distressed Team (d.h. einer Abteilung, die mit Anleihen von Unternehmen handelt, die in Schwierigkeiten stecken).
„Fault Lines“ – Vom ehemaligen Chefvolkswirt des IWF. Hier geht es eher um globale Themen, weniger um die Geschäftspraktiken von Banken im Detail, aber trotzdem interessant.
Ansonsten lese ich gerade das Buch von Malte Krüger und kann der Beschreibung nur zustimmen. Ich habe gemäß Kindle knapp 80% gelesen und ich muss mich teilweise sehr zwingen, es bis zum Ende durchzuziehen. Wie geschrieben, viele Wiederholungen, „undercover“ bis jetzt nur ein ganz kleiner Teil (als Mitarbeiter eines Strukturvertriebs – mehr hiervon wäre sicher spannend gewesen), über weite Teile des Buchs werden Interviews zitiert (das macht es sehr anstrengend – Interviews über zig Seiten zu lesen ist nicht gerade eine Freude, zumal der Autor sich gern selbst in seiner Meinung von seinen Interviewpartnern bestätigen lässt).
Ich sehe auch die Herangehensweise als problematisch an – der Autor möchte „ein Produkt“ haben, das alle seine Sorgen löst. Hintergrund: Er stellt mit Mitte vierzig fest, dass er eine Rentenlücke hat und mit 400 EUR/Monat zur Rente ein Vermögen von 250 bis 300 TEUR benötigt. Nun sucht er den heiligen Gral, der ihm das ermöglicht. Dabei stellt er – zumindest bis zum jetzigen Lesestand, den ich habe – Anforderungen, die sich ausschließen: Es soll bitte schön sicher sein und keine unsicheren Renditen (wie es bei Aktien der Fall ist) haben, aber dennoch knapp 10% erzielen, damit er sein Ziel erreicht. Ist dies mit den angebotenen Produkten nicht möglich (wie auch schon zuvor geschrieben interessieren ihn über weite Teile des Buchs nur Produkte und nicht, welche Anlageklassen dahinter stecken). Die Sichtweise scheint sich zum Ende des Buchs hin jedoch zu ändern.
Ob ich es mir nochmal kaufen würde (immerhin 16 EUR als Kindle-Version) weiß ich nicht.
Lieber Alex,
danke für die Buchempfehlungen. „Fault Lines“ kannte ich noch nicht.
Und auch ein Dankeschön für die Ergänzungen zum Undercover-Buch. Ich habe die Interviewstrecken im Buch ähnlich zäh empfunden. Und genau dieses „Produktdenken“ ist im Grund der Hauptfehler bei der Altersvorsorge hierzulande. Interessant wäre zu wissen, wo das seinen Ursprung hat. Haben die Versicherer flankiert von einer willigen Politik da ganze Arbeit geleistet? Oder ist das geschichtlich gewachsen durch unsere gesetzliche Rentenabsicherung?
Krügers Sichtweise ändert sich in der Tat.
Vielen Dank für den aufschlussreichen Artikel! Ich bin vor vielen Jahren selbst mal so einem Strukturvertrieb aufgesessen und hätte beinahe richtig viel Geld verloren. Zum Glück nur beinahe… Gerade viele Senioren fallen heute immer noch auf windige Typen rein, weil sie (oft mangels Internetkenntnissen) nicht entsprechend informiert sind. Und ZDF WISO guckt auch nicht jeder 😉 Mehr Aufklärung ist gefragt. Und da haben Sie mit diesem Artikel schon einen Schritt in die richtige Richtung unternommen. Bravo!